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Gedicht Zwei Segel • Conrad Meyer | Interpretation

Gedicht Zwei Segel • Conrad Meyer | Interpretation: 


Zwei Segel

Hier erhältst du einen Überblick über folgendes Werk: Gedicht Zwei Segel • Conrad Meyer | Interpretation

Autor: Conrad Meyer, Erstveröffentlichung: 1892, Inhalt: Liebe und Harmonie als Dinggedicht

Zusätzliche Lernmaterialien: Test | Übungsblätter | Merkblätter | Literatur

 

Gedicht:


Zwei Segel 

Zwei Segel erhellend

Die tiefblaue Bucht!

Zwei Segel sich schwellend

Zur ruhiger Flucht!

 

Wie eins in den Winden

Sich wölbt und bewegt,

Wird auch das Empfinden

Des anderen erregt.

 

Begehrt eins zu hasten,

Das andre geht schnell,

Verlangt eins zu rasten,

Ruht auch sein Gesell.

 

Conrad Ferdinand Meyer 1882 

Historischer Hintergrund:


Der Schweizer Schriftsteller Conrad Ferdinand Meyer war nicht nur ein bedeutender Balladendichter, sondern auch ein Wegbereiter des Symbolismus.

Mit dem Gedicht die “Zwei Segel” von 1882 schrieb er eines der ersten Dinggedichte

 

Kurze Inhaltsangabe:


In den drei Strophen des Gedichts “Zwei Segel” geht es um zwei Segel, die als Symbol für zwei Menschen stehen, die im blinden Verständnis bzw. in der Liebe vereint sind (Allegorie). 

 

Erste Strophe:

In den ersten zwei Versen der ersten Strophe wird der Kontrast zwischen dem tiefblauen Meer und den zwei Segeln, die “die Bucht erhellen” hergestellt.

Dabei sind von der Wertigkeit her die Segel wichtiger als die Bucht.

Im dritten und vierten Vers wird das Gemeinsame, dass die beiden Segel verbindet, zum ersten Mal artikuliert: “Zwei Segel sich schwellend – Zur ruhiger Flucht!”

 

Zweite Strophe:

Die zweite Strophe widmet sich der Personifizierung der Segel, die durch den Wind ausgelöst, stets die gleiche Bewegung vollführen.

Durch die vorgenommene Personifizierung (“Wird auch das Empfinden – Des anderen erregt”) eines an sich normalen physikalischen Vorgangs – Segel bewegen sich durch den Wind – wird die Verbundenheit von zwei Menschen noch besonders betont.

 

Dritte Strophe:

Die dritte Strophe schließlich beschreibt den bereits aus den vorherigen Strophen bekannten Sachverhalt eindrücklich.

Zudem geht der Dichter hier noch einen Schritt weiter, indem er den Segeln die Fähigkeit zuschreibt zu ahnen, was das andere sich wünscht.

In den Worten von Conrad Meyer:

Begehrt eins zu hasten,
Das andre geht schnell,
Verlangt eins zu rasten,
Ruht auch sein Gesell.
 
Damit wird der höchste Grad der Verbundenheit, die zwei Menschen miteinander haben können, durch die Symbolkraft der beiden Segel ausgedrückt. 

 

Analyse der Struktur:


a) Strophen und Verse:

Das Gedicht “Zwei Segel besteht aus drei Strophen mit 45 Wörtern in vier Sätzen. 

Die drei Strophen bzw. 12 Verszeilen sind im Präsens geschrieben.

 

b) Metrum:

Das vom Autor gewählte Metrum ist der Amphibrachys mit jeweils zwei Hebungen.

Darunter versteht man eine dreisilbige rhythmische Einheit eines Verses nach dem Muster: kurze Silbe – lange Silbe – kurze Silbe. 

Hebung: X   Senkung: x

Metrum für eine Strophe:

xXx|xXx
xXx|xX
xXx|xXx
xXx|xX

z.B. Zwei Se-gel | er-hel-lend

         x     X   x   |  x    X     x  

 
c) Kadenzen

Die Kadenzen sind abwechselnd weiblich und männlich und bilden in ihrer Struktur das Spiel der Segel nach.

 

d) Kreuzreim:

Auch die durchgehende Anwendung des Kreuzreims verstärkt die monotone Struktur des Gedichtes:

1. Strophe: “abab” → erhellend – Bucht – schwellend – Flucht

2. Strophe: “cdcd” → Winden – bewegt – Empfinden – erregt

3. Strophe: “efef” → hasten – schnell – rasten – Gesell

 

e) Reimanordnung:

Hinsichtlich der Reimanordnung dominiert der Endreim: 

erhellend/schwellend, Bucht/Flucht, Winden/Empfinden, bewegt/erregt, hasten/rasten, schnell/Gesell

 

f) Partizipien statt Prädikate:

Beide Sätze in der ersten Strophen haben kein grammatikalisches Prädikat.

Diese fehlenden Prädikate werden durch die beiden Partizipien “erhellend” und “schwellend” ersetzt.

 

Rhetorische Stilmittel:


a) Personifikation:

Hinsichtlich des verwendeten rhetorischen Stilmittel ist vor allem die Personifikation hervorzuheben.

Den Segeln, die durch den physikalischen Vorgang “Wind” bewegt werden, werden menschliche Attribute zugesprochen.

Sie denken und fühlen wie Menschen. z.B. “Empfinden” (Vers 7) oder “erregt” (Vers 8).

Dies wird vor allem in der dritten Strophe deutlich. Hier werden den Segeln die menschliche Attribute “Einfühlungsvermögen” und “Wünsche des anderen bereits vorausschauend zu erkennen” zugesprochen. 

Begehrt eins zu hasten,

Das andre geht schnell,

Verlangt eins zu rasten,

Ruht auch sein Gesell.

 

b) Metapher:

Das Bild der zwei Segel ist eine Metapher für eine funktionierende Beziehung zwischen zwei Menschen. 

 

c) Die Allegorie:

Durch die durchgehende Verwendung der Stilmittel „Personifikation“ und „Metapher“ in diesem Gedicht ergibt sich die Deutung hinsichtlich der Verwendung einer sprachlichen Allegorie.

Der komplexe Sachverhalt einer Partnerschaft oder einer Liebesbeziehung wird hier durch das Symbol der „zwei Segel“ dargestellt.

 

d) Enjambement:

Zeilensprünge sind ein durchgehendes Stilmittel des Gedichts. 

z.B. Vers 1 und 2:

Zwei Segel erhellend

Die tiefblaue Bucht!

 

e) Anapher:

In Vers 1 und 3 wird die Anapher “Zwei Segel” verwendet. 

 

f) Oxymoron:

Ein Oxymoron findet man im vierten Vers “Zur ruhigen Flucht!” Damit verdeutlicht Conrad Meyer bereits in der ersten Strophe den harmonischen Grundton des Gedichts.

Selbst ein sonst negativ aufgeladener Begriff ändert hier in Kombination mit dem Adjektiv “ruhig” nichts an der positiven Grundstimmung. 

 

Interpretation:


In seiner Gesamtheit betrachtet handelt es sich bei “Zwei Segel” um ein Dinggedicht, weil es zwei Segeln menschliche Eigenschaften zugesteht. 

In erster Linie ist “Zwei Segel” aber ein Liebesgedicht, das auf (schwulstige) Liebesbezeugungen verzichtet und das Ideal einer Liebe vielmehr im gegenseitigen Verstehen und Verständnis sieht.

Diese vom Autor angestrebte Harmonie wird durch den strukturellen Aufbau des Gedichts hinsichtlich Reimordnung, dreisilbiges Metrum sowie der Abfolge der Kadenzen unterstrichen.